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In memoriam Nelleke van Maaren (1941-2014)
Op 11 september jl. is vertaalster Nelleke van Maaren overleden. Een bevlogen professional en all round intellectueel, die thuis was in de Duitse, Franse en Angelsaksische cultuur en moeiteloos uit deze drie talen vertaalde. Recent verscheen bij Uitgeverij Cossee haar vertaling van de Duitse debuutroman Bugatti boven water van Dea Loher. In 2009 ontving zij de Vertaalprijs van het Fonds voor de Letteren en werd haar de prestigieuze Oostenrijkse Staatsprijs voor Literaire Vertalers toegekend. Klik hier voor de (Duitse) laudatio van uitgever Christoph Buchwald die bij de prijsuitreiking die in Klagenfurt werd gehouden.
Voor Uitgeverij Cossee vertaalde Nelleke van Maaren:
Dea Loher, Bugatti boven water 2014
Bernhard Schlink, Zomerleugens 2010
Katharina Hagena, De smaak van appelpitten 2010
Amelie Fried, Schoenenpaleis Pallas 2009
Wladimir Kaminer, Soldatenrock 2001
Christoph Buchwald - Laudatio auf Nelleke van Maaren
Verehrte Nelleke, meine sehr verehrten Damen und Herren,
wer als Nicht-Österreicher freiwillig und zum niederländischen Standardtarif (= 6,2 Eurocent pro Wort für die ersten 2500 Exemplare) Heimito von Doderers Die Strudlhofstiege oder Melzer und die Tiefe der Jahre übersetzt, der oder [in diesem Falle:] die muss nicht nur sein Fach lieben, in der Muttersprache sehr viele und sehr viele verschiedene Register zur Verfügung haben, sondern sich auch auf den Stiegen und in den Stiegenhäusern dieser Welt besonders gut auskennen.
Anders ist Doderers 909 Seiten starkes, hochkomplexes Roman-Geflecht, in dem auf zwei Zeitebenen 143 Personen durch ihre Lebensverwirrungen und Schicksale taumeln, nicht zu bewältigen. Erschwerend kommt hinzu, dass das Österreichische mit seinen Nockerln, Lockerln und katholischen Zuckerln dem protestantisch-nüchternen Niederländisch per definitionem nicht eben wesensverwandt ist.
Versuchen Sie, sich der Einfachheit halber einen schlichten Doderer-Satz wie diesen auf Englisch vorzustellen: "Als Mary K.s Gatte noch lebte, Oskar hieß er, und sie selbst noch auf zwei sehr schönen Beinen ging (das rechte hat ihr, unweit ihrer Wohnung, am 21. September 1925 die Straßenbahn über dem Knie abgefahren), tauchte ein gewisser Doktor Negria auf, ein junger rumänischer Arzt, der hier zu Wien an der berühmten Fakultät sich fortbildete und im Allgemeinen Krankenhaus seine Jahre machte." – “seine Jahre machen“, - wie, um Himmelswillen, soll man das ins Niederländische bringen, mit all den Konnotationen und „Kultur-Tatsachen“, die in dieser Wendung mitschwingen? Und was soll man mit der auf uns heute etwas ältlich wirkenden Wortstellung anfangen, die den Satz, im Niederländischen 1:1 nachgestellt, stante pede ins Strudeln brächte? Ich ziehe bewundernd meinen Hut, wenn ich lese, welche genialen Lösungen Nelleke van Maaren immer wieder gefunden hat.
Womit wir mitten drin wären im Knäuel der alten Fragen, die die Übersetzer immer wieder neu beantworten müssen. Was ist eine angemessene Übersetzung, und was ist das überhaupt: ’angemessen’? Nelleke van Maaren nennt für ihrer literarische Übersetzungsarbeit einige sehr klare Ausgangspunkte:
• So wörtlich wie möglich, so frei wie nötig – die alten Regel scheint mir sehr beherzigenswert; sie drückt aus, was ich mit meiner Art des Übersetzens für unbedingt erstrebenswert halte.
• Die Übersetzung, sagt Nelleke van Maaren, sollte sich wie ein originär niederländischer, autonomer Text lesen, und ich füge, um bei der Strudlhofstiege zu bleiben, paraphrasierend hinzu: wie von einem niederländischen Autor mit einem wienerisch funktionierenden Hirn und einem deutschsprachigen Bewusstsein geschrieben.
• Wortbedeutung, Atmosphäre und Stil sollten stets so getreu wie möglich wiedergegeben werden, aber in der Zielsprache, im Niederländischen eben nicht so, dass das Österreichische syntaktisch >durchschimmert< und den Leser aus der Illusionsmaschine des Textes katapultiert.
• Eine Übersetzung sollte eine persönliche >Interpretation< des Textes vermeiden und ihm auch da folgen, wo er vorsätzlich uneindeutig oder absichtlich doppeldeutig ist. Idiomatische Wendungen freilich, die in der Zielsprache ihren ursprünglichen Sinn und Zweck verlieren und unbegreiflich oder unfreiwillig komisch werden, sollten dem tieferen Sinne nach übersetzt werden, oder, wie es in der Bibel heißt, als >Geist vom selben Geiste<, in einem sinngemäßen Äquivalent.
Was Nelleke van Maaren, die von sich behauptet, sie sei weissgott keine Theoretikerin des Übersetzerhandwerks, hier sinngemäß ebenso so klar wie pragmatisch und begreiflich formuliert, hat es in sich. So unterschiedlich die Stimmen der Autoren, so verschieden sollte, nein: muss der Ton der jeweiligen Übersetzung sein. Heimito von Doderer klingt anders als Botho Strauss, Sylvia Plath anders als Raoul Schrott; Leo Perutz phrasiert mit Sicherheit anders als Monika Maron, Ernst Jünger hat ein anderes Tremolo als Edgar Wind, und Ian Buruma phrasiert anders als Fritz J.Raddatz - um nur einige wenige derjenigen Autoren zu nennen, die die heute mit dem Österreichischen Staatspreis für literarische Übersetzer Geehrte in Niederländische übertragen hat.
Welche rhetorischen, syntaktischen und wortbedeutungsrelevanten Register muss die Übersetzerin ziehen, damit im Niederländischen Doderer nicht wie Perutz klingt? Wobei wir natürlich wissen, dass die Oberton-Verluste unterwegs - von der Ausgangssprache zur Zielsprache - bei wachsender stilistischer Eigenwilligkeit unvermeidlich zunehmen.
Fußnote: Wer Goethes Werther je in der philologisch sorgfältigen englischen Übersetzung von Catherine Hutter gelesen hat, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Britin die emotionale Ladung des Sturm und Drang so fremd geblieben ist wie der englischen Speisekarte die Griesnockeln und die Schlutzkrapfen.
Wahr ist aber auch: die bislang genannten Autoren sind, bei aller Unterschiedlichkeit, fast alle aus der obersten Liga. Die Kärrner- und Fronarbeit, sagt Nelleke van Maaren, ist das Übersetzen von mittelmäßigen oder schlechten Texten. Wenn man bestenfalls ahnt, was gemeint ist, wenn die Bilder schief, die Sätze krumm, die Metaphern nebulös und die Vergleiche hinkend sind. Wenn die Prosa weitschweifig und/oder redundant daherkommt, wenn die Logik der Sätze nicht zu fassen und das Vokabular beschränkt ist und bei jedem Dialog bedeutungsschwer die Augenbrauen gerunzelt werden.
Darf – und damit sind wir bei einer der großen Kardinalfragen des Übersetzens, meine Damen und Herren – darf/kann/sollte der Übersetzer bei sprachlich schludrigen Texten, bei unausgegorenen Passagen, nicht zu Ende gedachten Reflektionen oder zu holzhaltigen Dialogen verbessernd eingreifen? Darf/sollte der Übersetzer einen Text „lektorierend“ übersetzen? Darf/sollte er den Autor verbessern dort, wo dieser offensichtlich sein Handwerkszeug oder den „kalten Blick“ nicht zur Verfügung hatte? Darf/sollte der Übersetzer kreativ eingreifen, weil der Verlagslektor der Originalausgabe – wenn es denn einen gab, der mehr durfte oder wollte, als nur die Kommata gerecht übers Blatt verteilen - entweder im Urlaub oder überfordert oder zu ehrfürchtig war?
Die Frage ist meines Erachtens komplizierter, als dass man sie nur mit Ja oder Nein beantworten könnte, und wenn ich versuche, mich in eine so erfahrene Übersetzerin wie Nelleke van Maaren hineinzuversetzen, oder, besser noch, probiere, eine Antwort aus von ihr übersetzten Büchern zu extrapolieren, dann könnte die etwa so lauten:
1. Bei Autoren, die man nicht mehr fragen kann, ist grundsätzlich Zurückhaltung angebracht.
2. Offensichtliche Irrtümer in einer Rembrandtbiografie aus dem zwanzigsten Jahrhundert stillschweigend zu berichtigen ist etwas anderes als in einer aus dem achtzehnten. Wo ein „historischer“ Autor z.B. eines Essays oder einer kunsthistorischen Abhandlung irrt oder ihm der Gaul durchgegangen ist, muss das sichtbar bleiben. Wenn der Herausgeber den Irrtum nicht im Anhang vermerkt hat, kann gegebenenfalls die bewährte Anmerkung des Übersetzers Aufschluss geben.
3. Bei Romanen und Erzählungen nicht mehr lebender Autoren sind „Verbesserungen“ fast immer unangebracht, da die übersetzenswerten Texte meist in einer edierten Fassung vorliegen.
4. Bei lebenden Autoren liegt der Fall anders. Einen Botho Strauss, der in seinen Erzählungen auch mal Ausflüge ins Mythomanische macht – und dann potenziert sich der Nebel für den Übersetzer gleich im Quadrat - , kann man befragen, was inhaltlich genau das Gemeinte sei. Oder den Verlag, der die Übersetzung in Auftrag gegeben hat, bitten, dies zu tun. Der Unterzeichnete hat in mehr als dreißig Jahren Arbeit mit Autoren und Übersetzern noch von keinem Autor gehört, der Übersetzerfragen nicht dankbar und mit Sorgfalt beantwortet hätte. Wohl aber haben Autoren sich darüber gewundert, dass der Übersetzer keine Verständnisfragen, überhaupt keine Fragen gestellt hat. In 98 Prozent der Fälle gilt die Regel: je besser der Autor, desto dankbarer ist er für Hinweise auf textimmanente handwerkliche Problemzonen und Unstimmigkeiten.
5. Logische Fehler im Fortgang der Handlung (im ersten Kapitel ist der Hund schwarz, im siebenten hellbraun), Entgleisungen in der Syntax oder Unstimmigkeiten in der Erzählperspektive, die im Zuge des Übersetzens korrigiert oder für den Lektor deutlich markiert werden, sind fast immer äußerst verdienstvolle Arbeit im Dienste des Textes, des Autors und des Lesers. Es gibt genügend dokumentierte Beispiele von Romanen und Erzählungen, die in der Übersetzung stimmiger und konsistenter sind als im Original.
[Fußnote: Meinungsverschiedenheiten zwischen einem jungen niederländischen Autor und seinem deutschen Übersetzer führten dazu, dass der die Übersetzung subsidierende Nederlandse Letterenfonds einen Fachgutachter einschalten musste. Der kam rasch zu dem Ergebnis, dass der Übersetzer aus schierer Verzweiflung stellenweise sehr frei zu Werke gegangen war – der Originaltext war passagenweise zu ungenau, verquast und redundant, als dass der Übersetzer ihn so hätte übersetzen können. Die Übersetzung war dann auch deutlich besser als die Originalausgabe].
Nelleke van Maaren merkt zurecht an, dass ein solcher Text die Übersetzung nicht lohne. Das ist wahr und nochmals wahr. Aber sie fügt aus alter Erfahrung sogleich hinzu: Es gibt immer wieder Bücher, die beeindruckend beginnen und dann irgendwann böse abstürzen (und welcher Übersetzer hat schon die Zeit und die Möglichkeit, ein Buch immer bis zur letzten Seite zu lesen, bevor er oder sie einen Auftrag annimmt?). Was tun? Den Übersetzerauftrag zurückgeben? Dass die allermeisten Übersetzer davor zurückschrecken, spricht Bände für das Arbeitsethos der Übersetzerzunft.
Die niederländische Übersetzerzunft, meine Damen und Herren, verdankt Nelleke van Maaren viele solcher grundsätzlichen Überlegungen und Abwägungen, und noch sehr viel mehr. In der Fachgruppe der Übersetzer hat sie Übersetzerseminare und als Fachmentorin jüngere Übersetzer begleitet; das Übersetzerhaus und die Übersetzerfachschule mit auf den Weg gebracht; sich beharrlich für eine angemessene Übersetzer-Ausbildung eingesetzt und für angemessene Honorare plädiert. Ohne Nelleke van Maaren wären die niederländischen Übersetzer ärmer, isolierter und möglicherweise ohne „Nachkommen“ aus einer jüngeren Generation.
Und ohne ihre Maßstäbe setzenden Übersetzungen aus dem Deutschen, dem Französischen und dem Englischen wären wir in den Niederlanden um viele interessante, bereichernde Bücher und um viele Meisterwerke der Literatur ärmer. Eine der Folgen und Nebenwirkungen ihrer unglaublichen Arbeit und Leistung ist (wie der Laudator in eigener Anschauung beobachten konnte), dass sich im Wiener IX. Bezirk auffallend viele niederländische Touristen nach dem Weg zu den Strudelhoftrappen erkundigten….
Chapeau, liebe Nelleke van Maaren, und allen Dank dafür!
Christoph Buchwald, Verleger
Amsterdam